EU-Gelder müssen ökologisch und wirtschaftlich der ganzen Gesellschaft nutzen
Bundesregierung muss Widerstand gegen notwendige Reformen aufgeben

Berlin, 17.01.08. Zu Beginn der Internationalen Grünen Woche in Berlin haben heute Umwelt- und Landwirtschaftsverbände die Bundesregierung aufgefordert, sich aktiv für eine geänderte Verteilung der EU-Agrargelder einzusetzen. Konkret geht es um eine weitere Umverteilung der Direktzahlungen (1. Säule) hin zur Förderung der ländlichen Entwicklung (2. Säule). Bundesminister Horst Seehofer rief die Verbände dazu auf, den Widerstand gegen entsprechende Vorschläge der EU-Kommission aufzugeben. Nach Ansicht von AbL, BIOLAND, BUND und EURONATUR komme der Großteil der Steuermittel in der Europäischen Agrarpolitik nach wie vor nur relativ wenigen Unternehmen zugute. Notwendig sei es, die Vergabe der Mittel so zu ändern, dass sie den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum nicht bestraften, sondern unterstützten. Die Mittel müssten weit stärker als bisher an wirksame ökologische Leistungen der landwirtschaftlichen Betriebe geknüpft werden, so die Verbände auf ihrer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin.

Prof. Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland), sagte: „Die EU-Agrarpolitik hat bislang auf die drängenden ökologischen Fragen keine zufriedenstellenden Antworten gegeben. Dass dies so ist, geht zum großen Teil auf das Konto der Bundesregierung. Die Staats- und Regierungschefs der EU haben uns versprochen, den Rückgang der natürlichen Artenvielfalt bis zum Jahr 2010 zu stoppen. Doch der Verlust von Arten und ihren Lebensräumen schreitet weiter voran. Wesentlicher Verursacher ist die Intensivierung der Landwirtschaft, das ist lange bekannt. Nun schlägt die EU-Kommission zumindest für einen Teil der Agrargelder eine Umverteilung vor. Doch statt die Umwidmung der Gelder zugunsten von sinnvollen Agrarumweltmaßnahmen zu unterstützen, betätigt sich Bundesminister Horst Seehofer in Brüssel als einer der härtesten Blockierer einer Umschichtung von Mitteln“, so Weiger. Dabei sei es maßgeblich die Bundesregierung gewesen, die die EU in den letzten Jahren dazu gedrängt habe, die EU-Gelder für die ländliche Entwicklung massiv zu streichen: „genau an der falschen Stelle“, schlussfolgert Weiger.

Bioland-Präsident Thomas Dosch sagte, dass die EU-Kommission mit ihrem Vorschlag zur Umwidmung von Agrargeldern (Modulation) noch sehr zurückhaltend vorgehen wolle: „Der Vorschlag der EU-Kommission, die Umschichtung eines Teils der Direktzahlungen zugunsten von besonders ökologischen Leistungen der Betriebe umzuschichten, ist noch zu zaghaft. Sie will erst im Jahr 2010 damit beginnen und auch dann nur zögerlich mit jährlich 2 % mehr pro Jahr. Das gleicht die Kürzungen der letzten Jahre nicht aus, aber ist immerhin ein deutliches Signal. Deutschland als Nettozahler würde davon besonders profitieren, weil Gelder hier als Investition in einen Markt mit europaweit außerordentlich hohen Wachstumsraten wirken würden. Deutschland ist der größte Absatzmarkt für Biolebensmittel, aber die Produktion kommt nicht nach. Das liegt auch an bisher fehlgeleiteten Mitteln. Deutschland verliert nicht mit den Vorschlägen der EU-Kommission, Deutschland gewinnt“, formulierte Dosch.

Für die AbL (Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft) hob ihr Vorsitzender Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf den Vorschlag der EU-Kommission hervor, die Direktzahlungen an die landwirtschaftlichen Betriebe oberhalb von 100.000 Euro je Betrieb zu staffeln. „Das Geld wird in den jeweiligen Ländern allen Betrieben wieder für bestimmte Leistungen im Bereich Ökologie oder Qualitätserzeugung zur Verfügung gestellt. Das heutige System führt dazu, dass einige rationalisierte Betriebe umgerechnet bis zu 120.000 Euro je Arbeitskraft kassieren, während bäuerliche Betriebe nicht ein Zehntel davon je Arbeitskraft erhalten. Die Vorschläge der Kommission sind ein wichtiger Schritt, um hier gegenzusteuern. Dazu muss die Staffelung aber ergänzt werden, denn es gibt eben auch große Betriebe, die auf der Fläche viele Menschen sinnvoll beschäftigen und ordentlich bezahlen. Die Staffelung muss darauf Rücksicht nehmen. Aber ohne Staffelung sind eben auch diese Betriebe weiter benachteiligt, was die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der Regionen schwächt“, so Graefe zu Baringdorf.

„Die Landwirtschaft ist nicht nur Opfer, sondern in vielen Bereichen auch Verursacher des Klimawandels“, stellte Prof. Hartmut Vogtmann, Präsident von Euronatur (Stiftung Europäisches Naturerbe) fest. Durch die agrarpolitisch bedingte Förderung einer einseitig auf die Erhöhung der Nahrungsmittelproduktion ausgerichteten Landwirtschaft, ist dort der Energieeinsatz in den letzten Jahren enorm gesteigert worden. Damit hat sich die Landwirtschaft quasi gezwungenermassen immer weiter von dem politisch erklärten Ziel einer multifunktionalen Agrarwirtschaft entfernt. Naturschutz- und Umweltleistungen sowie soziale und kulturelle Aspekte treten in den Hintergrund. Die erzeugte Menge an Nahrungsmitteln wird zum einzigen Bewertungskriterium des Erfolgs. „Die große Chance, die Landwirtschaft zu einer wichtigen Kohlenstoffsenke zu entwickeln, z. B. durch die Erhöhung des Humusgehaltes der Böden, wird damit verspielt“, meinte Vogtmann. „Daher ist es auch völlig absurd, wenn Politik und Agrarlobby jetzt verstärkt auf die sogenannten Agro-Kraftstoffe setzen. Es ist doch einleuchtend, dass mit einem Agrarsystem, dass auf die Reduktion jeglicher für die Erzeugung von Nahrungsmitteln unerwünschte Biomasse ausgerichtet ist, z. B. mit dem Einsatz von Herbiziden, das gesetzte Ziel möglichst hoher Gesamtbiomasseerträge nicht erzielt werden kann. Derartige Anbausysteme müssen völlig neu gedacht und umgesetzt werden und hier setzt der ökologische Landbau schon jetzt deutliche Maßstäbe“, stellte Vogtmann heraus. „Notwendig ist, dass wir nicht nur in Regenwaldgebieten, sondern auch in Europa verstärkt darauf hinwirken, dass die natürlichen Kohlenstoffspeicher, d.h. Wälder, moorige Standorte und das Grünland, nicht nur erhalten bleiben, sondern wieder neu geschaffen werden. Dazu brauchen wir ein europäisches Programm zur Erhaltung aller vorhandenen Grünlandstandorte und einen Stopp der Entwässerung von Flächen. Hier muss auch die EU-Kommission noch kräftig umdenken und umsteuern. Je früher wir das schaffen, umso besser und umso billiger wird es“, warnte Vogtmann.

Quelle: Bioland