Durchgefallen: Scoring-Verfahren im Praxistest
Datenschutz: Verbraucher werden in Schubladen gesteckt

23.01.2008 – Willkür und Intransparenz bei der Kreditvergabe wirft der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) der deutschen Kreditwirtschaft vor. Anlass sind weit verbreitete „Scoring“-Verfahren, bei denen die Kreditwürdigkeit und Zinskonditionen aufgrund pauschaler Kriterien wie Wohnadresse, Alter, Familienstand oder Beruf errechnet werden. In einer Studie weist der Verbraucherzentrale Bundesverband nach, dass die Verfahren nicht halten, was sie versprechen, intransparent sind und Anbieter gegen Gesetze verstoßen.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband fordert eine Begrenzung des Einsatzes von Scoring-Verfahren und klare Transparenzregeln zur Überprüfbarkeit der Verfahren. „Verbraucher werden beim Scoring in Schubladen gesteckt, ohne dass sie erfahren, wie und warum sie dort gelandet sind“, kritisiert Vorstand Gerd Billen. Den Kunden wird es nicht ermöglicht zu prüfen, ob die herangezogenen Daten korrekt sind und aufgrund welcher Kriterien ihre Bonität positiv oder negativ eingeschätzt wird. Die heute vorgelegte Studie bestätigt, dass Scorewerte die Zahlungsfähigkeit der Verbraucher falsch einschätzen und Verbraucher mit teilweise hohen Kreditkosten belasten. Billen: „Ein Blick in die Glaskugel würde vermutlich ein ähnliches Ergebnis liefern.“

Während Auskunfteien mit Daten viel Geld verdienen und die Banken sich auf „zuverlässige Verfahren zum Vorteil der Kunden“ berufen, wissen 85 Prozent der Verbraucher nicht einmal, was sich hinter dem Begriff Scoring verbirgt. Lediglich 0,8 Prozent ist bewusst, dass Scoring direkte Auswirkungen auf die Kreditkonditionen hat (Höhe, Laufzeit, Zins). Scoring kann aber auch zur Folge haben, dass Verbraucher gar keinen Vertrag erhalten. Der Einsatz von Scoring-Verfahren zur Preisbestimmung macht Werbeversprechen mit Bestpreisen (ab X-Prozent) zu Lockvogelangeboten. Auch in vielen anderen Bereichen gehört eine Bonitätsprüfung durch Scoring längst zum Alltag: Bei Versicherungen oder Telekommunikationsunternehmen, im Versandhandel oder Internet entscheidet Statistik sekundenschnell über das Schicksal der Kunden.

Verbraucher werden zum Spielball der Statistik

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, befürchtet, dass Scoring in seiner Konsequenz zu einer neuen Form der Diskriminierung werden kann. „Die Verbraucher dürfen nicht zum Spielball eines für sie undurchschaubaren Bewertungssystems werden. Ich erwarte von der Wirtschaft, dass sie den mündigen Bürger ernst nimmt – schließlich ist sie der Hauptnutznießer von Scoring-Verfahren.“ Scoring-Verfahren könnten individuelle Einzelfallentscheidungen nicht ersetzen. „Es ist nicht akzeptabel, wenn Unternehmen Betroffenen die Auskunft verweigern, welche Daten bei Bonitätsbewertungen zu Grunde gelegt werden und sie stattdessen an die Auskunfteien verweisen.“ Schaar unterstützt die Forderungen des Verbraucherzentrale Bundesverbandes und fordert den Gesetzgeber auf, Klarheit zu schaffen und die wesentlichen Anforderungen an den Einsatz von Scoring-Verfahren gesetzlich zu regeln.

Berechnete Verbraucher – unberechenbare Resultate

Wie trügerisch und fehlerhaft die von Auskunfteien und Banken als verbraucherfreundlich angepriesenen Verfahren des Kredit-Scoring sind, belegen die Ergebnisse einer von der GP Forschungsgruppe erstellten Praxisstudie. Die zentralen – im Rahmen des Mystery-Shopping-Verfahren erhobenen – Ergebnisse:

  • Scoring-Einsatz ohne Wissen der Verbraucher:
    • In knapp 50 Prozent der Fälle wurden Verbraucher nicht über den Einsatz von Scoring-Verfahren informiert.
    • In über 60 Prozent der Fälle wurde ihnen kein Angebot gemacht, die verwendeten Daten zu kontrollieren.
    • In 90 Prozent der Fälle wurde ihnen der Score nicht mitgeteilt.
  • Gesetze werden missachtet: Eine automatisierte, den Verbraucher benachteiligende Einzelentscheidung ist gesetzlich verboten. Dennoch verlassen sich Kreditsachbearbeiter in knapp 80 Prozent der Fälle ausschließlich auf das automatisch generierte Kreditangebot, individuelle Prüfung Fehlanzeige.
  • Ergebnisse sind logisch nicht nachvollziehbar: Ein und dieselbe Testperson wurde mal als kleines, mal als großes Risiko eingestuft. In einem Fall hätte sie für ein Kreditangebot 7,99 Prozent Zinsen zahlen müssen, dann wieder 13,49 Prozent. Bei solchen Einschätzungsabweichungen fällt es schwer, beim Scoring an ein solides mathematisches Verfahren zu glauben. Die Gründe für die Einteilung bleiben für die Kunden im Dunkeln.
  • Datensammelwut der Anbieter: Staatsangehörigkeit, Wohndauer, Arbeitgeber, berufliche Stellung, Umzugshäufigkeit et cetera – warum so viele Daten gesammelt werden, lässt sich nur durch einen lukrativen Datenhandel erklären. Allein die vier größten Auskunfteien verkaufen jährlich mehr als 140 Millionen Datensätze. Firmen wie Schober, EOS, Bürgel oder Credtireform erwirtschaften im Jahr dreistellige Millionenumsätze.

„Aus den Ergebnissen der Studie ergibt sich zwingend, dass die Transparenz der Scoring-Verfahren lückenlos hergestellt werden muss und dass die Anbieter Information nicht mit dem Argument des Geschäftsgeheimnisses verweigern können“, so Dr. Dieter Korczak, Geschäftsführer der GP Forschungsgruppe. Die Prognosefähigkeit von Scoring-Verfahren sei lediglich eine Behauptung von Scoring-Anbietern und Geldinstituten. Sie sei wissenschaftlich in keiner Weise bewiesen.

Scoring darf keine Black-Box bleiben

Aus Sicht des Verbraucherzentrale Bundesverbandes ist die Politik gefordert, damit sich die Scoring-Praxis nicht weiter unkontrolliert ausdehnt. Der Diskussionsentwurf des Bundesinnenministeriums zur Reform des Datenschutzes ist ein Schritt in die richtige Richtung, er greift jedoch zu kurz. Um Willkür, Diskriminierung und einer Verschleierung von Preisen entgegen zu wirken, müssen aus Sicht der Verbraucherorganisation insbesondere folgende Punkte erfüllt sein:

  • Der Einsatz von Scoring-Verfahren muss auf Ausfallrisiken begrenzt und branchenspezifisch geregelt werden.
  • Scoring-Verfahren müssen von einer neutralen Stelle offiziell zugelassen und regelmäßig auf ihre Plausibilität hin geprüft werden.
  • Anbieter müssen Verbraucher obligatorisch über den Einsatz von Scoring-Verfahren, die verwendeten Daten und deren Gewichtung informieren.
  • Bei der Beurteilung des Ausfallrisikos dürfen nur bonitätsrelevante personenbezogene Daten berücksichtigt werden.
  • Werbung mit Bestpreisen (beispielsweise „ab X Prozent“) ist nur zulässig, wenn wenigstens zwei Drittel der Verbraucher diesen Bestpreis auch tatsächlich erhalten.

Quelle: Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv)